Stilles Zeichen des Protests: Chinesen gehen in Peking mit leeren Seiten auf die Straße. Autor Guido FelderAusland Trotz der harten Sanktionen sind die Chinesen so wütend, dass immer mehr Menschen auf die Straße gehen, um zu protestieren. Ihre Wut richtet sich vor allem gegen die strengen Maßnahmen der Null-Covid-Politik. In Peking und anderen Millionenstädten wagten am Wochenende Hunderte Demonstranten, gegen die Regierung zu rebellieren. Sie riefen: „Nieder mit der Kommunistischen Partei! Nieder mit Xi Jinping“ und hielt als Zeichen unterdrückter Meinungsfreiheit weiße weiße Laken hoch.
Drama bei einem Wohnungsbrand
Es sind die größten Proteste seit der Demokratiebewegung von 1989, die von der Armee blutig niedergeschlagen wurde. Das Bild eines Demonstranten gegen Panzer ging damals um die Welt. Auslöser der anhaltenden Proteste war ein Wohnungsbrand in der 4-Millionen-Metropole Ürümqi in der nordwestchinesischen Region Xinjiang, der am Donnerstag mindestens zehn Menschenleben forderte. Viele geben den Behörden die Schuld, dass die Lösch- und Rettungsarbeiten durch die rigiden Maßnahmen wegen des Coronavirus behindert wurden. So waren die Bewohner wegen der verschlossenen Türen in der feurigen Hölle gefangen.
Rücktritt von Xi fordern
Wie beurteilen Sie die aktuellen Proteste? Bereiten sie der Regierung Probleme? Ralph Weber (47), China-Experte an der Universität Basel, sagt gegenüber Blick: „In der Volksrepublik China gibt es jeden Tag Proteste. Was die aktuellen Ereignisse auszeichnet, ist, dass sie teilweise explizit den Rücktritt von Xi Jinping fordern und doch an manchen Stellen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit fordern. Mehr chinesische Wut auf die Regierung Außerdem stehen die verschiedenen Proteste in Beziehung zueinander. „In Shanghai gibt es einen Hinweis auf das Feuer in der Wohnung. Die Menschen in Peking solidarisieren sich mit den festgenommenen Demonstranten in Shanghai. Das ist bemerkenswert“, sagt Weber.
Fast keine Bedrohung für das Regime
Wie stark die Regierung ins Wanken gerät, sei schwer abzuschätzen, da eine solche Dynamik zu unerwarteten Entwicklungen führen könne, sagt Weber. Er sagt: „Im Moment wird noch viel gebraucht. Vor allem erleben wir spontane Proteste, die nicht gut koordiniert sind. Es ist keine politische Bewegung.” Der chinesische Parteienstaat weiß, wie man gegen politische Bewegungen vorgeht, die auf Konsultationen und konzertierte Aktionen angewiesen sind. Damit haben wir jahrzehntelange Erfahrung. „Und in den letzten Jahren ist das Regime immer autoritärer geworden. Für die Zivilgesellschaft bleiben kaum noch Räume. Außerdem sitzt Xi Jinping in der Kommunistischen Partei fest im Sattel, vielleicht sogar fester als je zuvor“, sagt Weber.
Schweizer Journalist wird kontrolliert
Während der Demonstrationen wurden viele Demonstranten abgewiesen. Die Polizei nahm auch Journalisten vorübergehend fest, darunter einen BBC-Mitarbeiter, der laut Nachrichtensender misshandelt worden war. Die Polizei kontrollierte auch Michael Peuker (36), einen China-Korrespondenten des französischsprachigen Schweizer Fernsehens RTS, unmittelbar nach seinem Live-Bericht in Shanghai. „Die Auswirkungen werden die Demonstranten nach ihrer Freilassung sicherlich im Alltag erleben – vom Verlust von Privilegien bis hin zu Belästigungsmaßnahmen“, sagt Ralph Weber. „Jeder, der sich gegen Xi Jinping oder die Kommunistische Partei ausgesprochen hat, muss mit Gefängnisstrafen rechnen. Man muss auch davon ausgehen, dass die Demonstranten bei ihrer Festnahme oder danach auf der Polizeiwache Gewalt erfahren werden.” Wir erleben vor allem spontane Proteste, die nicht gut koordiniert sind, Ralph Weber
Die Pandemie ist zurück
Trotz des harten Vorgehens gegen das Virus wird die Milliardenbevölkerung derzeit von der schlimmsten Coronavirus-Welle seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren getroffen. Die Gesundheitskommission meldete am Montag mit rund 40.000 Neuinfektionen ein Rekordhoch im Land. In Peking waren es knapp 3.900 Fälle. Jede Infektion führt zur Blockade ganzer Häuser und Verlegung aller Infizierten in Quarantänekrankenhäuser. Viele Großstädte sind weitgehend lahmgelegt. Die Menschen sind genervt von den ständigen Tests, Ausgangssperren, erzwungenen Quarantänen, der genauen Überwachung durch Coronavirus-Apps und der Kontaktverfolgung, mit denen die Behörden versuchen, leicht übertragbare Varianten des Virus zu kontrollieren. Die Regierung wurde auch kritisiert, da klar ist, dass die Behörden seit Ende 2019 den größten Teil ihrer Kapazitäten für kontinuierliche Massentests und Abriegelungen genutzt haben. Die Vorbereitungen für den Ausstieg aus der Pandemie wurden nicht ausreichend getroffen.